Myokine – Die Medizin der Muskulatur

Myokine – Die Medizin der Muskulatur

Lange wurde die Muskulatur vor allem als Gewebe angesehen, das uns Bewegung ermöglicht.

Doch aktuelle Forschung zeigt, dass Muskeln weit mehr leisten.

Muskel ist ein endokrines Organ.

Muskel ist eine Hormondrüse.

Muskel ist in der Lage, eine Reihe von Signalstoffen zu produzieren und freizusetzen, die sogenannten Myokine.

Diese Botenstoffe, die von den Muskelzellen produziert werden, beeinflussen den Stoffwechsel, die Immunantwort und sogar den Zustand anderer Organe im Körper.

Myokine können somit als die “Medizin der Muskulatur” betrachtet werden, da sie durch Bewegung und körperliche Aktivität ausgeschüttet werden und positive Effekte auf die Gesundheit haben.

 

Was sind Myokine?

Myokine sind eine spezielle Gruppe von Zytokinen, also Botenstoffen, die durch die Aktivität der Muskulatur freigesetzt werden.

Sie wirken auf benachbarte Gewebe (parakrin) oder auf entfernte Organe (endokrin) und sind besonders nach körperlicher Belastung aktiv.

Diese Myokine erfüllen vielfältige Funktionen, indem sie beispielsweise Entzündungen im Körper regulieren, die Fettverbrennung ankurbeln oder den Blutzuckerspiegel beeinflussen.

Diese Botenstoffe wurden erstmals entdeckt, als Forscher den Einfluss von Muskelarbeit auf das Immunsystem untersuchten.

Dabei stieß man auf eine Gruppe von Zytokinen, die speziell durch Muskelkontraktionen freigesetzt wurden und seitdem als Myokine bezeichnet werden.

 

Die wichtigsten Myokine und ihre Funktionen

1. Interleukin-6 (IL-6)

IL-6 ist eines der ersten und am besten erforschten Myokine.

Es wird während und nach dem Training in großen Mengen von der Muskulatur produziert.

IL-6 wirkt sowohl pro- als auch anti-entzündlich, je nach Situation im Körper. Während des Trainings hilft IL-6, die Energieversorgung des Muskels sicherzustellen, indem es die Freisetzung von Glukose aus der Leber stimuliert und den Fettstoffwechsel anregt.

Nach dem Training fördert IL-6 eine anti-entzündliche Umgebung, was zur Regeneration beiträgt und chronischen Entzündungen entgegenwirken kann, die oft mit Krankheiten wie Diabetes und Herzerkrankungen in Verbindung gebracht werden.

 

2. Interleukin-8 (IL-8)

IL-8 ist ein weiteres Myokin, das besonders nach intensiver körperlicher Anstrengung freigesetzt wird.

IL-8 spielt eine wichtige Rolle bei der Bildung neuer Blutgefäße (Angiogenese), was die Sauerstoffversorgung des Muskels verbessert und somit die Ausdauerleistung steigern kann.

Es wird vermutet, dass IL-8 hauptsächlich lokal im Muskelgewebe wirkt, um den Aufbau der Kapillaren zu fördern und somit die Versorgung der Muskelzellen zu optimieren.

 

3. Interleukin-15 (IL-15)

IL-15 wird besonders in Verbindung mit Krafttraining freigesetzt und hat eine stark anabole Wirkung, das heißt, es fördert den Muskelaufbau.

IL-15 unterstützt zudem den Abbau von Fettgewebe, was es zu einem interessanten Myokin für die Gewichtskontrolle macht.

Darüber hinaus scheint IL-15 eine Schlüsselrolle in der sogenannten “Muskel-Fett-Kommunikation” zu spielen, wodurch die Fettzellen beeinflusst und die Muskelmasse aufgebaut werden können.

 

4. Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF)

BDNF ist ein Wachstumsfaktor, der nicht nur das Wachstum von Nervenzellen fördert, sondern auch in den Muskeln nachgewiesen wurde.

BDNF unterstützt die Fettverbrennung und verbessert die Sensibilität der Muskeln für Insulin, was besonders für Menschen mit suboptimalem Blutzuckermanagementz von Vorteil sein kann.

 

5. Follistatin-Like-1 (FSTL-1)

FSTL-1 ist ein Myokin, das ebenfalls bei körperlicher Aktivität freigesetzt wird.

Es hat entzündungshemmende Eigenschaften und unterstützt die Funktion des Herz-Kreislauf-Systems.

FSTL-1 wird derzeit intensiv erforscht, da es möglicherweise eine Rolle bei der Prävention und Behandlung von Herzkrankheiten spielen könnte.

 

Myokine und das Gehirn: Die Verbindung zwischen Muskel und Geist

Ein spannender Bereich der Myokine-Forschung ist die Rolle dieser Botenstoffe auf das Gehirn und die mentale Gesundheit.

Studien zeigen, dass Myokine wie BDNF, die während körperlicher Aktivität ausgeschüttet werden, neuroprotektive und neuroregenerative Effekte haben können.

Das bedeutet, dass sie das Wachstum und die Erholung von Nervenzellen fördern und somit zu einer besseren kognitiven Gesundheit beitragen.

Regelmäßiges Training, das die Produktion von BDNF anregt, wird in der Prävention und Behandlung von Erkrankungen wie Depression und Demenz immer häufiger in Betracht gezogen.

Praxisbeispiel: Menschen, die an Depression leiden, berichten oft von einer positiven Wirkung körperlicher Aktivität auf ihre Stimmung und geistige Klarheit.

BDNF könnte hier eine Schlüsselrolle spielen, da es direkt auf das Nervensystem wirkt und neuronales Wachstum sowie die Stressresilienz fördert.

Ein einfaches Ausdauertraining wie Laufen oder Radfahren ist eine Möglichkeit, die Produktion von BDNF zu stimulieren.

 

Anti-Aging durch Myokine: Die Rolle im Zellschutz

Ein weiterer interessanter Punkt ist die Anti-Aging-Wirkung von Myokinen.

Sie helfen nicht nur, den Stoffwechsel gesund zu halten, sondern wirken auch antioxidativ und zellschützend.

Durch die Reduktion von chronischen Entzündungen und die Unterstützung der Zellerneuerung könnten Myokine eine Rolle dabei spielen, den Alterungsprozess zu verlangsamen und altersbedingten Krankheiten wie Osteoporose oder Sarkopenie (Muskelschwund) entgegenzuwirken.

Praxisbeispiel: Senioren, die regelmäßig Krafttraining betreiben, profitieren von den anabolen Effekten von Myokinen wie IL-15, die Muskelwachstum und Muskelreparatur fördern.

Diese Art von Bewegung hilft ihnen, Mobilität und Lebensqualität länger aufrechtzuerhalten und altersbedingtem Muskelschwund vorzubeugen.

 

Myokine und Insulinresistenz: Eine natürliche Hilfe bei Diabetes Typ 2

Die Beziehung zwischen Myokinen und dem Blutzuckerspiegel ist ein weiterer wichtiger Punkt.

Regelmäßige Bewegung fördert die Freisetzung von IL-6, das nachweislich die Insulinsensibilität erhöht und so zur Optimierung des Blutzuckermanagement beiträgt.

IL-6 stimuliert den Glukosetransport in die Muskelzellen und verbessert die Fähigkeit des Körpers, Blutzucker zu verarbeiten, ohne dass die Bauchspeicheldrüse übermäßig viel Insulin produzieren muss.

Praxisbeispiel: Menschen mit suboptimalem Blutzuckermanagement können durch eine Kombination aus Kraft- und Intervalltraining die Myokinproduktion anregen und so ihre Blutzuckerkontrolle verbessern.

Auch kurze, regelmäßige Bewegungseinheiten wie ein zügiger Spaziergang oder eine Einheit Intervalle können den IL-6-Spiegel im Körper erhöhen und zur Senkung des Blutzuckers beitragen.

 

Die Rolle von Myokinen bei Entzündungen und Regeneration

Myokine sind auch für ihre Fähigkeit bekannt, Entzündungen zu regulieren. Besonders nach intensivem Training wird IL-10 freigesetzt, ein Myokin mit stark entzündungshemmender Wirkung.

Es hilft, die Entzündungsreaktion zu dämpfen und fördert gleichzeitig die Regeneration der Muskelzellen.

Diese Eigenschaften machen Myokine besonders wertvoll für Menschen mit chronischen Entzündungserkrankungen oder Autoimmunerkrankungen.

Praxisbeispiel: Personen mit chronischen Gelenkentzündungen, wie sie bei Arthritis auftreten, können durch sanfte Bewegungseinheiten die Produktion entzündungshemmender Myokine anregen.

Besonders low impact Übungen wie Schwimmen oder leichtes Radfahren können helfen, Schmerzen zu lindern und die Entzündungswerte langfristig zu reduzieren.

 

Myokine als “soziale” Botenstoffe: Die Wirkung auf die Fettzellen

Interessanterweise wirken einige Myokine auch direkt auf das Fettgewebe und fördern den Abbau von Körperfett.

IL-15 beispielsweise spielt eine Rolle im sogenannten “Muskel-Fett-Crosstalk” – das heißt, Muskeln kommunizieren über IL-15 mit Fettzellen und regen sie an, Fett zu verbrennen.

Praxisbeispiel: Personen, die ein Krafttraining absolvieren, profitieren doppelt:

1. Durch den Muskelaufbau wird die Produktion von IL-15 angeregt, was wiederum die Fettzellen dazu bringt, Fett zu mobilisieren und zu verbrennen.

2. Dadurch wird das Krafttraining zu einer effektiven Strategie sowohl für den Muskelaufbau als auch für die Fettverbrennung.

 

Die Bedeutung der Myokine für den Stoffwechsel und die Gesundheit

Myokine haben eine direkte Auswirkung auf den gesamten Stoffwechsel und fördern die Gesundheit auf verschiedene Weise.

Sie sind zum Beispiel in der Lage, Entzündungsprozesse zu regulieren, den Fettstoffwechsel anzuregen und die Blutzuckerregulation zu unterstützen.

Menschen, die regelmäßig körperlich aktiv sind, profitieren daher von einer erhöhten Produktion dieser Myokine.

Durch das Training steigt nicht nur die Muskelmasse, sondern auch die Fähigkeit der Muskeln, diese gesundheitsfördernden Botenstoffe freizusetzen.

 

Fazit

Myokine sind der Grund warum Bewegung als “Medizin” betrachtet werden kann.

Die Entdeckung der Myokine hat die Rolle der Muskulatur im Körper auf völlig neue Weise beleuchtet und zeigt eindrucksvoll, wie tiefgreifend Bewegung unseren Körper beeinflusst.

Durch die gezielte Anregung der Myokinproduktion bietet Bewegung natürliche “Medikamente”, die Entzündungen regulieren, den Stoffwechsel verbessern, das Nervensystem schützen und die Körperzusammensetzung optimieren.

Myokine verdeutlichen, dass regelmäßige körperliche Aktivität nicht nur der Fitness dient, sondern auch einen starken therapeutischen Effekt auf den gesamten Körper hat.

Dieser umfassende Blick auf die gesundheitlichen Vorteile von Myokinen unterstreicht, warum Bewegung in vielen Fällen die beste Medizin ist.

Egal ob jung oder alt, ob Sportler oder nicht:

Regelmäßige körperliche Aktivität, insbesondere eine Kombination aus Intervall- und Krafttraining, fördert die Produktion dieser wertvollen Botenstoffe und trägt so dazu bei, ein langes, gesundes und leistungsfähiges Leben zu führen.

Und natürlich schnell und effektiv Muskel auf- und Fett abzubauen. 

 

Quelle:
Pedersen, B. K., Åkerström, T. C. A., Nielsen, A. R., & Fischer, C. P. (2007). Role of myokines in exercise and metabolism. Journal of Applied Physiology, 103(3), 1093-1098.
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