Die Kraftqualitäten

Die Kraftqualitäten

„Maximalkraft ist die Mutter aller Kraftqualitäten“ Prof. Dr. Dr. Schmidtbleicher

Dies ist ein bekanntes Zitat, das kurz und präzise die physiologische Grundlage und das Verhältnis der einzelnen Kraftqualitäten zueinander erklärt. Die Basis jedes Krafttrainings ist die Entwicklung dieser Kraftqualitäten. Während die Maximalkraft die Basis aller Kraftqualitäten und damit die entscheidendste aller Kraftqualitäten ist, sind die anderen für verschiedene Sportarten und Ziele von primär Bedeutung.

So ist für eine Fussballspieler die Explosivkraft am entscheidendsten, um schnellstmöglich Laufdistanzen von 5 bis 30 Meter zurückzulegen. Für einen Boxer ist die Startkraft wichtig, um seine Fäuste schnell beschleunigen, ohne dass sein Gegner auf diese reagieren kann. Für einen Ruderer ist die Kraftausdauer wichtig, so das er nicht zum Ende eines Rennens in seiner Leistung einbricht. Für eine Sprinter ist sehr wichtig seine Reaktivkraft zu verbessern, um so die Bodenkontaktzeiten zu verringern und schneller im Ziel zu sein. Und für einen Radfahrer ist entscheidend seine Relativkraft zu steigern, so dass er mehr Watt in die Pedale treten kann ohne sein Körpergewicht zu steigern.

Entscheidend zur optimalen Auswahl der einzelnen Kraftqualitäten zur Optimierung des Programm Designs und damit des Erfolgs im Krafttraining ist die Definition dieser. Und diese sehen wie folgt aus:

Maximalkraft

Die Maximalkraft ist die größtmögliche Kraft, die das neuromuskuläre System willkürlich gegen einen Widerstand auszuüben kann. Im Kontext des Krafttrainings kann die Maximalkraft zum Beispiel durch Verbundübungen wie die LH Kniebeugen, LH Kreuzheben, LH Bankdrücken und auch den Klimmzug getestet. Entscheidend ist hier das maximale Gewicht das für eine Wiederholung bewegt werden kann.

Schnellkraft

Die Schnellkraft wird oftmals auch als Speed-Strength bezeichnet, ist die Fähigkeit des neuromuskulären Systems ein Impuls in kürzest möglicher Zeit zu entwickeln. Zwei Formen der Schnellkraft sind die Explosivkraft und die Startkraft.

Explosivkraft

Die Explosivkraft wird oftmals auch als Power bezeichnet, ist die Fähigkeit des  neuromuskulären Systems hohe Kraft in kurzer Zeit zu entwickeln. Es ist die Fähigkeit Widerstand zu beschleunigen. Ob nun das eigene Körpergewicht bei Sprints und Sprüngen oder eine Langhantel bei den Gewichtheber-Übungen.

Startkraft

Die Startkraft ist die Fähigkeit des neuromuskulären Systems ein Impuls in kürzest möglicher Zeit aus der Ruhe bzw. der Geschwindigkeit 0 zu entwickeln. Es ist die Fähigkeit der Kraftentwicklung zu Beginn einer muskulären Kontraktion.

Reaktivkraft

Die Reaktivkraft wird oftmals auch als Plyometrie (engl. plyometrics) bezeichnet, ist die Kraft, die notwendig ist, um reaktive Bewegungen auszuführen. Reaktive Bewegungen zeichnen sich durch eine schnell nacheinander ablaufende, nachgebende (exzentrische) und anschließend überwindende (konzentrische) Arbeitsweise der Muskulatur aus. Insbesondere bei Sprints und Sprünge ist hier die Bodenkontaktzeit der beste Indikator für die Reaktivkraft. Je geringer die Bodenkontaktzeit desto höher die Reaktivkraft und vice versa. Während der exzentrischen Phase von reaktiven Bewegungen ist das tendo-muskuläre System in der Lage, in den seriell- und parallelelastischen Strukturen kinetische Energie zu speichern. In der sich anschließenden konzentrischen Phase kann die gespeicherte Energie freigegeben werden und es kommt zu einer Kraft- und Leistungszunahme im Vergleich zu einer konzentrischen Kontraktion ohne vorhergehende Exzentrik. Je länger der Dehnungsverkürzungsyklus bzw. die Bodenkontaktzeit desto irrelevanter die Reaktivkraft und desto relevanter die Explosivkraft. Ebenfalls wurden durch EMG-Messungen deutlich, dass dieser Leistungszuwachs im Reaktivkraftbereich nicht direkt durch den Muskel, sondern primär durch den Dehnungsreflex der Sehnen und des Bindegewebes/Faszie sowie der neuromuskulären Koordination zustande kommt (1). Auch wenn ein hohes Maß dieser Reaktivkraft seinen Ursprung in der Faszie und nicht direkt im Muskel hat, ist ein hohes Maß an Maximalkraft notwendig diese Kraft zu entwickeln und freizusetzen.

Kraftausdauer

Die Kraftausdauer ist die Ermüdungswiderstandsfähigkeit gegen lang andauernde Belastungen bei statischer oder dynamischer Muskelarbeit. Diese sind primär andauernde Belastungen im Bereich von 60 bis 120 Sekunden wie zum Beispiel bei einem 800m Sprint, im Rudersport oder 20 Wiederholungen Kniebeugen. Andauernde Belastungen von über 120 Sekunden Dauer sind primäre aerobe Belastungen mit geringeren Widerständen und damit aus Sicht der „Kraft“-ausdauer weniger relevant. Andauernde Belastungen von unter 60 Sekunden Dauer werden weniger durch die Ausdauer-Komponente, d.h. die Ermüdungswiderstandsfähigkeit, sondern durch die Kraft-Komponente beeinflusst.

Absolutkraft

Die Absolutkraft entspricht dem Maximum an Kraft, die das neuromuskuläre System maximal gegen einen Widerstand ausüben kann. Die Absolutkraft setzt sich aus der willkürlichen Maximalkraft und den sogenannten autonom geschützten Leistungs-/Kraftreserven zusammen. Die willkürlichen Maximalkraft entspricht bis zu 70% der Maximalkraft. Die verbleibende Kraftreserve kann nur in wenigen Fällen wie durch Stimulanzien, psychologische Faktoren (primär extremer Stress) und Elektromuskelstimulation (kurz EMS) freigesetzt und genutzt werden. Untersuchungen zeigen, dass durch eine starke elektrische Stimulation des innervierenden Nervs eine Steigerung von 30% bis 40% über die willkürliche Maximalkraft möglich ist (Schmidtbleicher er al 1978).

Relativkraft

Die Relativkraft ist das Verhältnis der Maximalkraft zum Körpergewicht. Sie ist von Bedeutung, wenn in sportlichen Bewegungen die Kraft gegenüber dem eigenen Körpergewicht entscheidend sind. So hat eine Person mit einem 1RM bei der Kniebeugen von 120kg bei 60kg Körpergewicht eine geringere Maximalkraft jedoch höhere Relativkraft als eine Person mit einem 1RM bei der Kniebeugen von 150kg bei 80kg Körpergewicht. Dies ist vor allem in Sportarten mit Gewichtsklassen und Sportarten mit langer, kontinuierlicher Belastungsdauer wie Radfahren und Mittel-/Langdistanz Rennen entscheidend.

Jede, der einzelnen Kraftqualitäten und ihre Entwicklung ist zu einem spezifischen Zeitpunkt bei einem bestimmten Athleten/Trainierenden entscheidend.

Am 16.März findet im YPSI das „YPSI Krafttraining & Sportwissenschaften Seminar mit Prof. Dr. Dr. Dietmar Schmidtbleicher“ statt, mehr Infos und Anmeldung direkt hier

Referenz:
(1) Arnd Krüger: Plyometrie auf schiefer Ebene. In: Leistungssport. 5, 2012, S. 33.

Bild: Die Kniebeuge ist ein ausgezeichneter Indikator für Maximalkraft eines Trainierenden.

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