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Frage: Oft hört man, man soll Pressatmung beim Krafttraining vermeiden. Immer wieder höre ich im Studio, dass man bei der Belastung ausatmen soll. Beim Training mit Maximalgewichten ist Pressatmung jedoch nötig oder nicht? Was ist dein Standpunkt dazu? Mike L.
WU: Intraabdominaler Druck, welcher entsteht, wenn man willentlich die Luft anhält, ist nötig zur Stabilisierung Wirbelsäule und insbesondere zur Fixierung des Brustkorbs. Ohne dieses willentliche Luftanhalten, die sogenannte Pressatmung, sind Kraftanstrengungen im Maximalbereich nicht möglich. Je stabiler dein Körper bzw. deine Wirbelsäule ist, desto mehr Kraft kannst du entwickeln. Pressatmung zeichnet sich aus durch die fehlende Atmung, einen roten Kopf sowie ggf. sichtbaren Halsvenenstau aus und es kann – jedoch nur in Extremfällen – dabei zu geplatzten Gefäßen kommen. Wie z.B. bei Powerliftern, die in einigen Fällen extremer Kraftanstrengungen Nasenbluten bekommen. Solche Extremfälle sind immer gepaart mit sehr hohe Gewichten wie 400kg+ bei Kniebeugen und sehr hohem Körpergewicht wie 120kg+. Und damit nicht nur sehr selten sondern auch für die meisten Trainierenden irrelevant.
Die Pressatmung gleicht im Ablauf einem medizinischen Verfahren, dem Valsalva-Manöver, welches z.B. zur Belüftung des Mittelohrs und beim Untersuchen von Beinvenen mit Ultraschall angewendet wird. Beim Valsalva Manöver versucht man kräftig auszuatmen, während man sich für mehrere Sekunden die Nase zuhält und den Mund verschließt. Auf diese Weise wird der Luftdruck in den Luftwegen erhöht. Es auch möglich, anstatt die Nase und den Mund zuzuhalten, die eingeatmete Luft durch die Kontraktion der Rumpfmuskulatur zu komprimieren und von innen gegen die geschlossene Stimmritze auszuatmen. Dies bewirkt eine große Druckerhöhung im Brustraum, was wiederum eine Erhöhung des systolischen Blutdrucks zur Folge hat.
Diese Druckerhöhung kann für Hypertoniker (Bluthochdruckpatienten) mit zahlreichen Gefahren, wie beispielsweise Gefäßschäden, verbunden sein. Durch den erhöhten Druck im Brustinnenraum wird zudem der Blutrückfluss zum Herz stark behindert. Dies führt dazu, dass die Durchblutung des Herzmuskels, sowie das Herzzeitvolumen bis fast um die Hälfte abnehmen kann. Trainierende mit Vorerkrankungen der Arterien oder des Herzens sollten somit darauf achten, auch bei Kraftbelastungen regelmäßig zu atmen und Pressatmung – und damit auch schweres Krafttraining grundsätzlich – vermeiden, da für diese Personengruppe aufgrund ihrer Vorerkrankung ein höheres Risiko für schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen besteht.
Für gesunde, junge Personen stellt die Pressatmung jedoch in der Regel kein Risiko dar, da die Blutdruckerhöhung auch immer nur wenige Sekunden beträgt. Ein kurzer Peak im Blutdruck ist für gesunde Menschen bezüglich Arteriosklerose (Gefäßablagerungen) wesentlich weniger destruktiv als ein konstant erhöhter Blutdruck, der auch nur einer von vielen Risikofaktoren ist. Bewegungsmangel, falsche Ernährung und Stress sind einige Risikofaktoren für konstant erhöhten Blutdruck, die man meiden sollte. Regelmäßige sportliche Betätigung erweitert die Gefäße, senkt so den Blutdruck und ist gesundheitsfördernd.
Zusammenfassend ist die Pressatmung Teil des Krafttrainings, da der durch die Pressatmung erhöhte Druck im Bauchbereich die Wirbelsäule stabilisiert und die Kraftentwicklung steigert. Ein Ausatmen unter Belastung ist leider immer noch eine Empfehlung mancher Theoretiker, denen die Trainingserfahrung fehlt. Pressatmung ist Teil und Basis progressiven Krafttrainings. Und entscheidend für Sicherheit und Fortschritt.
Viel Erfolg mit der richtigen Atmung!
Bild: Insbesondere bei Grundübungen wie Kniebeugen, Kreuzheben und Bankdrücken ist eine Pressatmung entscheidend zur Maximierung von Stabilität und Sicherheit.