Frage: Whey hat laut diesem Artikel einen großen Effekt auf den Blutzucker. Im Internet liest man viel über den Effekt der Aminosäure Leucin auf den Blutzucker. Da Whey sehr reich an Leucin ist, macht es doch sehr viel Sinn, dass das Leucin im Whey für diesen Blutzuckeranstieg verantwortlich ist, richtig?
WU: Das klingt im ersten Moment logisch, ist jedoch nicht richtig.
Leucin hat einen großen Effekt auf den Blutzucker, jedoch primär unter zwei bestimmten Umständen. Beide sind im Falle eines Shakes aus reinem Whey jedoch nicht gegeben.
Zum einen, wenn wir den absoluten und relativen Leucin-Anteil am Wheyprotein (auch oft als Molkeprotein bezeichnet) mit Fleisch/Fisch vergleichen, fällt Folgendes auf:
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Whey enthält pro 100 g ca. 10 g bzw. 10 % Leucin.
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Fleisch und Fisch enthalten pro 100 g ca. 2 g bzw. 2 % Leucin.
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Whey enthält pro 100 g ca. 80-85 g Protein, d. h. ca. 8 % des Proteinanteils sind Leucin.
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Fleisch und Fisch enthalten pro 100 g ca. 20-25 g Protein, d. h. 8-10 % des Proteinanteils sind Leucin.
Somit enthält eine 30-60 g Portion Whey ca. 3-6 g Leucin.
Und eine 200-300 g Portion Fleisch oder Fisch ca. 4-6 g Leucin.
Fleisch und Fisch haben jedoch einen um ein Vielfaches geringeren Effekt auf den Blutzucker als Whey.
Dies habe ich ebenfalls in der Praxis mit Hunderten Blutzuckerreaktions-Analysen durch CGM-Messungen im vergangenen Jahr nachgewiesen.
Proteinshakes aus Whey und Wasser haben bei den meisten einen großen Effekt auf den Blutzuckerspiegel. Fleisch und Fisch haben einen geringen Effekt.
Somit ist es eindeutig nicht der Leucin-Anteil am Protein, der für diese Blutzucker-Reaktion verantwortlich ist.
Wenn man die Geschichte des Leucins betrachtet, waren es Manninen et al. im Jahr 2006 (1), die eine der ersten bedeutenden Studien/Artikel zu Leucin und Blutzucker veröffentlicht haben. In einer dieser Studien wurden drei verschiedene Post-Workout-Shakes und deren Effekt auf das Blutzuckermanagement verglichen:
- Shake 1: Hochglykämische Kohlenhydrate
- Shake 2: Hochglykämische Kohlenhydrate plus Proteinhydrolysat
- Shake 3: Hochglykämische Kohlenhydrate plus Proteinhydrolysat und Leucin
Ergebnisse:
- Shake 2 im Vergleich zu Shake 1 hatte eine um 66 % höhere Blutzuckerantwort.
- Shake 3 im Vergleich zu Shake 1 hatte jedoch eine um 221 % höhere Blutzuckerantwort.
Hinweis: Leucin ist Teil eines Proteinhydrolysats. Im Fall der Studie waren 8 % des Proteinhydrolysats Leucin.
Fazit: Protein (inkl. Leucin) steigert die Blutzuckerreaktion um 66 %. Wenn jedoch dieser Mischung noch isoliertes Leucin hinzugegeben wird, ist die Reaktion um mehr als das Dreifache erhöht. Somit ist es nicht Leucin als Teil eines Proteins bzw. einer Peptidkette, das für die primäre insulinogene Eigenschaft verantwortlich ist, sondern Leucin in isolierter Form als Aminosäure.
Hier ist zu beachten, dass eines der häufigsten Missverständnisse des Proteinstoffwechsels die Form des Proteins bei der Aufnahme im Dünndarm ist.
Protein wird nicht, wie oft angenommen, aus langen Peptidketten in Aminosäuren verdaut und dann absorbiert.
Es sind primär Di- und Tripeptide, das sind Ketten aus 2 bis 3 Aminosäuren, die im Dünndarm absorbiert werden.
Somit hat Leucin als Teil eines Peptids, wie es in Fleisch, Fisch und Whey vorkommt, nicht die insulinogenen Effekte wie Leucin als isolierte Aminosäure.
Leucin ist eine verzweigtkettige Aminosäure (engl. branched-chain amino acid, kurz BCAA).
Der primäre Vorteil der BCAAs ist, dass sie nicht von der Leber verstoffwechselt werden müssen, sondern direkt dem Muskel zur Verfügung gestellt werden.
Dieser Effekt ist jedoch primär vorhanden, wenn BCAAs isoliert aufgenommen werden, wie in einem Amino-Drink, und nicht als Protein bzw. Peptidkette wie in Fleisch, Fisch und Whey.
Eine weitere Studie (2) zeigte, dass der primäre Effekt von Leucin auf den Blutzucker vom gleichzeitigen Konsum von Glukose abhängig ist und dass der Konsum von Leucin ohne Glukose einen deutlich geringeren Effekt auf den Blutzucker hat.
Somit hat Leucin primär unter zwei bestimmten Umständen einen bedeutenden Effekt auf den Blutzucker:
Wenn Leucin isoliert als Aminosäure und in Kombination mit Glukose bzw. hochglykämischen Kohlenhydraten konsumiert wird.
Dies klärt jedoch noch nicht die Frage, warum Whey bei sehr vielen zu einer starken Blutzuckerantwort führt.
Die Antwort hierauf ist, dass neben Kohlenhydraten auch Protein im Allgemeinen einen Effekt auf den Blutzucker hat.
Einer der größten Vorteile von Whey ist, dass es sehr schnell verdaut wird.
Dies führt im Umkehrschluss zu einem sehr schnellen Anstieg an Protein im Blut (3).
Diese sehr schnelle Verdauung, Aufnahme und der Anstieg an Protein im Blut hat eine erhöhte Blutzuckerantwort zur Folge, weitestgehend unabhängig vom vorhandenen Leucin.
Fazit
Somit ist es nicht das Leucin, sondern das schnell verdauliche Protein des Whey, das für den Anstieg des Blutzuckers verantwortlich ist.
Referenzen:
(1) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2465040/
(2) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/m/pubmed/19013300/
(3) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/9405716
„Ask the Coach“ ist die Kolumne in der Wolfgang Unsöld Eure Fragen zu Training & Ernährung beantwortet. Das gleichnamige Buch ist im Riva Verlag erschienen und direkt hier erhältlich.