Butt Wink oder Schildkröte? Die überfällige Klarstellung zur Kniebeuge

Butt Wink oder Schildkröte? Die überfällige Klarstellung zur Kniebeuge

Im Jahr 2014 habe ich meinen ersten Artikel zum Thema „Warum der Butt Wink von Vorteil ist….“ veröffentlicht – damals auf englisch auf einer der weltweit führenden Plattformen für Krafttraining.

Schon damals war der Butt Wink ein heiß diskutiertes Thema, das in Foren und Fachgesprächen regelmäßig für Streit sorgte.

Meine Kernaussage damals:

Ein Butt Wink ist kein Fehler, sondern hat sogar Vorteile.

 

Mehr als zehn Jahre später ist das Thema immer noch aktuell. 

In den letzten 18 Jahren habe ich tausende Kniebeugen beobachtet – live und auf Video –, von Anfängern bis zu Elite-Athleten.

Was sich in all den Jahren herauskristallisiert hat:

Der Kern des Problems ist nicht, ob ein Butt Wink existiert oder nicht. Sondern, dass in der Diskussion nicht klar definiert wird, was überhaupt ein „Wink“ ist.

Denn wer „Butt Wink“ sagt, meint oft sehr Unterschiedliches. Genau hier liegt der entscheidende Punkt: Ein Wink ist nicht gleich eine Schildkröte.

Ohne diese Differenzierung redet man aneinander vorbei – und verpasst die Chance, das Thema sauber einzuordnen.

In diesem Artikel möchte ich deshalb eine klare Definition schaffen, den Unterschied zwischen Wink und Schildkröte herausarbeiten und zeigen, wann ein Butt Wink normal und unproblematisch ist – und wann er zu einem echten Problem wird.

 

Was ist eigentlich ein „Wink“?

Das Wort „Wink“ kommt aus dem Englischen: to wink bedeutet „zwinkern“. Ein Zwinkern ist ein kurzes Schließen des Auges – eine kleine, schnelle Bewegung. Übertragen auf die Kniebeuge bedeutet das:

Ein Butt Wink ist ein kurzes, minimales Abklappen des Beckens nach hinten in der alleruntersten Position der Kniebeuge.

Kurz: Nur im Endbereich der Bewegung.

Minimal: Einige wenige Grad Beckenkippung, keine massive Rundung.

Lokal: Betrifft primär das Becken, nicht den gesamten Rücken.

Das ist entscheidend, denn sobald das Becken schon früh im Bewegungsablauf kippt oder die Lendenwirbelsäule über weite Strecken rundet, reden wir nicht mehr von einem Wink. Ein Zwinkern ist kurz. Ein dauerhaft geschlossenes Auge ist kein Zwinkern – genauso wie ein dauerhaft gekipptes Becken kein Butt Wink mehr ist.

 

Der Unterschied zwischen Wink und Schildkröte

Um die Diskussion endlich klar zu führen, braucht es zwei verschiedene Begriffe:

 

1. Wink/Zwinkern

• tritt nur im letzten Teil der Bewegung auf

• klein, kurz und kontrolliert

• gehört zur normalen Biomechanik

• hat Vorteile

 

2. Schildkröte

• das Becken kippt früh oder über einen längeren Zeitraum

• nicht nur das Becken, auch die gesamte Wirbelsäule rundet ein

• oft verbunden mit Abtauchen des Oberkörpers nach vorne

• resultiert in Instabilität und erhöhtem Verletzungsrisiko

 

Wer also pauschal sagt „Butt Wink ist schlecht“, meint in den allermeisten Fällen die Schildkröte.

Das Problem: Gemeint ist etwas anderes, als gesagt wird.

Deshalb ist diese sprachliche Differenzierung so entscheidend.

 

Biomechanische Einordnung

Warum kommt es überhaupt zu einem Schildkröte?

Sprunggelenksbeweglichkeit: Fehlende Dorsiflexion zwingt den Körper, das Becken früher abzuklappen, um die Tiefe zu erreichen.

Hüftmobilität: Ist die Hüfte eingeschränkt, rundet die Wirbelsäule oft schon in der Mitte der Bewegung ein. 

Anatomische Unterschiede: Oberschenkellänge, Beckenform und Rumpflänge beeinflussen, ab wann und wie stark die Schildkröte sichtbar wird.


Vorteile eines Butt Winks

Bereits 2012 habe ich drei mögliche Vorteile beschrieben – die auch heute noch Bestand haben:

1. Mehr Vastus-medialis-Rekrutierung
Durch die zusätzliche Knieflexion im tiefsten Punkt wird der Vastus medialis stärker beansprucht. Das stärkt einen der wichtigsten Muskeln für die Stabilität des Kniegelenks.

2. Dynamische Aktivität des Erector spinae
Statt rein isometrisch zu arbeiten, kontrahiert der untere Rücken minimal dynamisch. Das kann die Kraftentwicklung in Sprint und Sprung unterstützen.

3. Geringere LWS-Kompression
Durch das leichte Abklappen verkürzt sich der Hebelarm zwischen Langhantel und Hüftgelenk. Das reduziert die Kompressionskräfte auf die Lendenwirbelsäule.


Wann wird es kritisch?

• Wenn der Wink zu früh kommt (Schildkröte).

• Wenn er zu groß wird und die gesamte Wirbelsäule einrundet (Schildkröte).

• Wenn Bracing und Rumpfspannung verloren gehen.

 

Praxis für Trainer und Athleten

Wie erkennt man, ob man es mit einem normalen Wink oder mit einer Schildkröte zu tun hat?

 

Checkliste

Akzeptabler Wink:

• tritt erst in den letzten 10–15 % der Bewegung auf

• klein und lokal

• Spannung im Rumpf bleibt erhalten

 

Schildkröte:

• tritt schon ab halber Tiefe auf

• anhaltendes Einrunden über mehrere Zentimeter

• deutlicher Spannungsverlust und Vorbeugen des Oberkörpers

 

Korrekturmöglichkeiten bei Schildkröte

• Sprunggelenksdorsiflexion verbessern (z. B. Mobilitätsübungen, Keile unter die Fersen vermeiden).

• Standbreite und Fußstellung anpassen.

• Ellbogenposition unter die Stange bringen → aufrechter Oberkörper.

• Core-Bracing gezielt trainieren.

• Variationen nutzen: Front Squats, Box Squats, Poliquin Step-ups.

Grundregel

Eine volle Kniebeuge mit einem leichten Wink ist quasi immer besser als eine halbe Kniebeuge ohne Wink.

 

10+ Jahre Diskussion – was bleibt?

In den letzten zehn Jahren habe ich immer wieder gesehen, dass die Diskussion über den Butt Wink festgefahren ist. Die eine Seite verteufelt ihn, die andere Seite verharmlost ihn. Beide Sichtweisen greifen zu kurz.

Die Wahrheit ist differenzierter:

• Ein Wink ist normal, unvermeidbar und oft sogar positiv.

• Eine Schildkröte ist ein Technik- oder Mobilitätsproblem und sollte korrigiert werden.

Diese Erkenntnis ist das Ergebnis aus tausenden beobachteten Wiederholungen im YPSI und im Leistungssport.

 

Unterschied zwischen Aufwärmsätzen und Arbeitssätzen

Ein weiterer wichtiger Punkt in der Diskussion ist die Differenzierung zwischen Aufwärmsätzen und Arbeitssätzen.

Gerade bei Athleten mit hoher Maximalkraft zeigt sich ein Muster: In leichten Aufwärmsätzen wirkt die Bewegung oft steif, eingeschränkt oder sogar technisch unsauber. Ursache ist die höhere Steifigkeit von Muskeln und Faszien in Ruhe – hier fehlt der vertikale Druck, um die Strukturen optimal auszurichten.

Mit steigender Last verändert sich die Situation: Der vertikale Druck der Langhantel von oben „setzt“ das Becken in eine stabilere und biomechanisch günstigere Position.

Dadurch wird die Kniebeuge flüssiger, tiefer und stabiler.

Dieser Effekt ist besonders bei Elite Gewichthebern gut zu beobachten:

Athleten, diemit weniger als 100 kg Schwierigkeiten haben, eine volle Tiefe zu erreichen, beugen unter schweren Lasten wie 300 kg technisch sauber und extrem tief.

Das bedeutet: Ein leichter Butt Wink in einem Aufwärmsatz ist nicht automatisch ein Hinweis auf ein strukturelles Problem.

Mit Last und Spannung optimiert sich die Bewegung oft von selbst. Entscheidend ist, was in den Arbeitssätzen passiert, nicht, wie der Körper in den ersten Wiederholungen ohne nennenswerte Last reagiert.

 

Meta-Ebene: Warum Definition entscheidend ist

Ohne klare Definition bleibt jede Diskussion oberflächlich und potentiell irreführend. 

Wenn der eine von „Butt Wink“ spricht und eigentlich eine Schildkröte meint, während der andere von einem minimalen Beckenkipp spricht, entsteht zwangsläufig Verwirrung.

Klare Sprache schafft Klarheit in der Praxis. Nur so können Trainer, Athleten und Therapeuten sinnvoll handeln.

 

Fazit

Ein Wink ist ein Zwinkern – kurz, minimal, lokal.

Eine Schildkröte ist etwas anderes – anhaltend, global, problematisch.

Nach über zehn Jahren Diskussion ist es Zeit, das Thema neu zu ordnen:

• Wink akzeptieren und nutzen.

• Schildkröte erkennen und vermeiden.

Die Debatte ist damit nicht länger ein Streit „pro oder contra Butt Wink“, sondern eine Frage präziser Definition und der entsprechenden praktischen Konsequenzen.

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