
#65 - Sojalecithin, Sonnenblumenlecithin und Seed Oils – was ist wirklich relevant?
Ask the Coach #65
Frage: Ich achte sehr genau darauf, kein Sojalecithin und möglichst auch keine Produkte aus sogenannten „Seed Oils“ zu konsumieren. Ich habe unter anderem den Artikel von Dr. Cate Shanahan zum Thema Sojalecithin gelesen und versuche, entsprechende Inhaltsstoffe zu vermeiden. Jetzt habe ich auf einem eurer Produkte gesehen, dass Sonnenblumenlecithin enthalten ist. Könnt ihr das bitte einordnen?
Antwort: Vielen Dank für deine Frage – das Thema wird derzeit zurecht intensiv diskutiert.
Gerade wenn man sich mit Autoren wie Dr. Cate Shanahan beschäftigt, die viel zur Rolle von verarbeiteten Pflanzenölen in der modernen Ernährung beigetragen hat, entsteht schnell der Eindruck, dass jede Zutat mit Bezug zu einem Öl-Saat-Rohstoff automatisch problematisch ist.
Uns ist Transparenz bei der Rohstoffauswahl wichtig, und deshalb möchten wir die Verwendung von Sonnenblumenlecithin in einzelnen unserer Produkte klar und nachvollziehbar erklären.
Warum setzen wir Sonnenblumenlecithin überhaupt ein?
In unserem Fall dient Sonnenblumenlecithin nicht als Fettquelle, sondern wird ausschließlich als technologischer Hilfsstoff verwendet – konkret zur Verbesserung der Löslichkeit von schwer löslichen Aminosäuren wie L-Leucin.
Ohne diesen Zusatz schwimmt Leucin häufig als weißer Schaum auf der Oberfläche der Flüssigkeit, was das Mischergebnis negativ beeinflusst.
Der Zusatz von Lecithin verbessert die Dispergierungseigenschaften erheblich – und zwar bereits in minimaler Dosierung.
In unserem Produkt liegt der Anteil von Sonnenblumenlecithin unter 0,5 %. Bei einer Portionsgröße von 12 g entspricht das rechnerisch weniger als 0,06 g Lecithin pro Portion – also weniger als ein Zwanzigstel Gramm.
Zum Vergleich: Zwei Hühnereier enthalten etwa 12 g Lecithin – also das mehr als das 200-Fache dessen, was du mit einer Portion unseres Produkts aufnimmst.
Wie stehen wir zu Sojalecithin?
Wir verwenden grundsätzlich kein Sojalecithin.
Das hat mehrere Gründe:
Sojalecithin stammt häufig aus gentechnisch verändertem Soja, wird meist industriell mit Lösungsmitteln extrahiert und ist aus unserer Sicht insbesondere in großtechnischen Mengen – wie sie in der verarbeiteten Lebensmittelindustrie verwendet werden – kritisch zu bewerten.
Ich habe hierzu bereits einen Artikel verfasst, der die Problematik von Soja differenziert beleuchtet.
Und was ist mit Seed Oils allgemein – zählt Sonnenblumenlecithin dazu?
Die Diskussion um Seed Oils ist berechtigt – insbesondere wenn es um hochverarbeitete Öle mit hohem Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren (PUFAs) geht, die in großen Mengen über industrielle Produkte konsumiert werden.
Was genau sind eigentlich „Seed Oils“?
Als „Seed Oils“ werden im ernährungswissenschaftlichen und populärmedizinischen Diskurs in der Regel raffinierte Pflanzenöle aus ölhaltigen Samen bezeichnet – etwa Sonnenblumenöl, Sojaöl, Rapsöl, Maiskeimöl, Baumwollsaatöl oder Traubenkernöl.
Gemeinsam ist diesen Ölen, dass sie:
- einen höheren bis hohen Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren (PUFAs) enthalten – insbesondere Linolsäure (Omega-6)
- meist durch industrielle Verarbeitung wie Extraktion mit Lösungsmitteln, Entschleimung, Desodorierung und Bleichen hergestellt werden
- häufig in der Lebensmittelindustrie als günstige Fettquelle verwendet werden, z. B. in Margarine, Chips, Fertiggerichten oder Fast Food
Die Kritik an Seed Oils bezieht sich dabei meist auf:
- den hohen Omega-6-Gehalt, der bei übermäßiger Zufuhr das Fettsäureverhältnis im Körper aus dem Gleichgewicht bringen kann
- die Oxidationt der enthaltenen Fettsäuren bei der Produktion
- mögliche chemische Rückstände aus der Raffination, insbesondere bei minderwertiger oder unsachgemäßer Verarbeitung
Wichtig: Nicht jeder Rohstoff aus einem Samen ist automatisch ein Seed Oil im kritisierten Sinne.
Entscheidend sind Verarbeitung, Verzehrmenge und Funktion.
Lecithin – wie es in unserem Produkt enthalten ist – ist chemisch und funktionell etwas völlig anderes als ein pflanzliches Speiseöl.
Lecithin ist kein Öl, sondern ein phospholipidreicher Emulgator, der aus dem Presskuchen von Ölsaaten gewonnen wird.
Er enthält nur Spuren von Fett, kein Glycerin-Trägerfett und vor allem keine freie Fettsäurestruktur, wie sie in kaltgepresstem oder raffiniertem Öl enthalten ist.
Die Einordnung von Sonnenblumenlecithin als "Seed Oil" im ernährungsphysiologischen Sinne ist daher nicht sachgerecht. Es handelt sich um einen technologischen Hilfsstoff – vergleichbar mit Eigelb, das ebenfalls rund 10–12 % Lecithin enthält.
Was ist das Problem mit raffiniertem Rapsöl – besonders in den USA?
Die häufige Kritik an Rapsöl – auch von Dr. Cate – bezieht sich vor allem auf die industriell hergestellte, raffinierte Form, wie sie in den USA weit verbreitet ist.
In den USA stammt über 90 % des angebauten Rapses (Canola) aus gentechnisch veränderten Pflanzen, die unter anderem resistent gegen Herbizide gezüchtet wurden.
Dieses Öl wird in der Lebensmittelindustrie und Gastronomie häufig verwendet – auch in Fast Food und industriell verarbeiteten Produkten.
Raffiniertes Canolaöl kann Rückstände aus der industriellen Verarbeitung (z. B. Lösungsmittel, Desodorierung) enthalten und verliert durch die hohen Temperaturen viele sekundäre Pflanzenstoffe und natürliche Antioxidantien.
In der EU hingegen:
- ist der Anbau von gentechnisch verändertem Raps derzeit nicht zugelassen
- es gibt keine kommerzielle GMO-Rapsproduktion in Europa
- es dürfen aber importierte GMO-Rapsprodukte aus Kanada oder den USA verwendet werden – bei einem Gehalt ab 0,9 % muss dies jedoch klar gekennzeichnet sein
- Bio-Produkte dürfen generell keine GMO-Rohstoffe enthalten, auch nicht über Tierfutter
Ich habe hierzu ebenfalls einen weiteren detaillierten Artikel verfasst, der die Differenz zwischen raffiniertem und kaltgepresstem Rapsöl aufzeigt.
Wie steht ihr zu Dr. Cate Shanahan?
Wir schätzen die Arbeit von Dr. Cate sehr.
Ihr Buch „Deep Nutrition“ ist eines der wenigen Ernährungstitel, die wir aktiv im Rahmen unseres YPSI Modul 4 Seminars empfehlen.
Viele ihrer Grundprinzipien – insbesondere in Bezug auf Fettqualität, Mikronährstoffdichte und verarbeitete Lebensmittel – sind für uns vollkommen nachvollziehbar und wertvoll.
Gleichzeitig gibt es Punkte, bei denen eine differenzierte Betrachtung notwendig ist – insbesondere wenn man den Unterschied zwischen dem US-amerikanischen und europäischen Markt kennt.
Fazit
Der Einsatz von Sonnenblumenlecithin in einzelnen Produkten erfolgt bei uns aus rein technologischen Gründen – zur Verbesserung der Löslichkeit von schwer löslichen Inhaltsstoffen wie L-Leucin.
Die verwendete Menge ist minimal, nicht ernährungsphysiologisch relevant und nicht mit einem Seed Oil im eigentlichen Sinne vergleichbar.
Unsere Position ist klar: Wir vermeiden Sojalecithin, setzen auf GMO-freie Rohstoffe aus europäischer Herkunft und verwenden Lecithin nur dann, wenn es für die Produktqualität notwendig ist – und das in der kleinstmöglichen Menge.
„Ask the Coach“ ist die Kolumne in der Wolfgang Unsöld Eure Fragen zu Training & Ernährung beantwortet. Das gleichnamige Buch ist im Riva Verlag erschienen und direkt hier erhältlich.