Warum Kniebeugen mit Rundrücken keinen Sinn machen

Warum Kniebeugen mit Rundrücken keinen Sinn machen

Ask the Coach #68

Frage: Hi Wolfgang, Ich bin ein großer Freund von Kniebeugen und mache sie schon seit quasi immer. Dein Buch Die perfekte Kniebeuge war für mich eine Bestätigung, wie wichtig eine saubere, tiefe Kniebeuge mit neutraler Wirbelsäulenposition ist. Vor kurzem hat mich ein Trainer im Studio angesprochen und meinte, ich solle auch mal Kniebeugen mit rundem Rücken machen – das wäre eine sinnvolle Variation und nicht so gefährlich, wie man denkt. Seine Begründung war, dass der Körper schließlich auch in der Lage sei, einen runden Rücken zu machen, also könne man diesen auch trainieren. Macht das wirklich Sinn?

Antwort: Kurz gesagt: nein, es macht keinen Sinn, mit rundem Rücken zu beugen, zumindest nicht mit relevanten Trainingslasten.

Nur weil der Körper eine Bewegung kann, heißt das nicht, dass man sie unter Last trainieren sollte.

Man kann auch auf der Autobahn rückwärts fahren, technisch möglich, aber verboten. Und zwar aus gutem Grund: Es ist weder effektiv noch sicher.

Genau so verhält es sich mit einer Kniebeuge im Rundrücken.


Wann lohnt es sich, eine Übung zu trainieren?

Zwei Kriterien sind primär entscheidend:

  1. Progressionspotenzial – lässt sich die Übung dauerhaft effektiv steigern?

  2. Sicherheit – kann die Bewegung auch bei progressiven Lasten sicher, sprich mit geringerem Verletzungsrisiko, ausgeführt werden?

Eine „Rundrücken-Kniebeuge“ fällt bei beiden Kriterien durch.


Warum ein Rundrücken instabil ist

Die neutrale Wirbelsäule mit ihrer natürlichen S-Kurve bietet die größte strukturelle Stabilität.

In dieser Position können die Bandscheiben, Wirbelkörper, Facettgelenke und umgebende Muskulatur die Kräfte gleichmäßig aufnehmen und verteilen.

Kompression und Scherkräfte wirken dabei kontrollierter.

Sobald die Lendenwirbelsäule in Flexion – also Rundung – geht, verliert sie diesen strukturellen Vorteil.

Die Bandscheiben werden ungleichmäßig belastet, die passiven Strukturen müssen mehr Last übernehmen, und die Fähigkeit der Muskulatur, die Wirbel in einer sicheren Position zu stabilisieren, sinkt deutlich. 

Mit zunehmender Last steigt dadurch das Risiko für Verletzungen, vor allem für Bandscheiben und Bänder.

Neutral ist also nicht nur „sauberer“, sondern vor allem mechanisch stabiler und sicherer.

 

Warum die neutrale Wirbelsäule überlegen ist

Die Wirbelsäule ist in neutraler Position mit ihrer natürlichen S-Kurve evolutionär dafür gemacht, Kompressionskräfte aufzunehmen – also genau die vertikalen Druckkräfte, die beim Gehen, Laufen, Springen oder Heben am häufigsten auftreten.

Natürlich wirken auch Scherkräfte auf die Wirbelsäule, abhängig von Technik und Anthropometrie.

In neutraler Position lassen sich diese am besten kontrollieren.

Wenn im Kontext der Kniebeuge von „Rundrücken“ die Rede ist, betrifft das in erster Linie die Lendenwirbelsäule.

Und genau hier erhöht Rundung das Risiko von Überlastung erheblich.

Eine leichte thorakale Rundung (obere BWS) kann bei hohen Lasten auftreten, ist aber biomechanisch ein ganz anderes Szenario und viel weniger problematisch.


Vergleich: Langhantel vs. Stein

Ein klassisches Beispiel:

Eine 150-Kilo-Langhantel vom Boden zu heben ist mechanisch deutlich einfacher und sicherer als einen 150-Kilo-Stein (Atlas Stone) aufzuheben. 

Warum?

Ein Hauptgrund ist, da die Hantel in neutraler Rückenposition nah am Körperschwerpunkt geführt werden kann, während der Stein zwangsläufig Rundung und eine ungünstige Hebelposition erfordert.

Das macht ihn nicht sicherer oder besser – nur anders, und in Strongman-Wettkämpfen der speziellen Situation geschuldet.


Ausnahmefälle

Für quasi alles gibt es Ausnahmen, so auch hier.

Es gibt ein Szenario, in dem ich geringe Flexion akzeptiere: bei leistungsorientierten Sportlern in der neuromuksulöärer Grundausbildung, die noch keine saubere tiefe Kniebeuge beherrschen.

Wenn ein 90-Kilo-Athlet mit 40–60 Kilo Last in der Tiefe einen leichten Rundrücken zeigt, kann das als Übergangsphänomen toleriert werden – nicht als Trainingsziel.

Das Ziel ist, mit der Zeit eine tiefe, aktive Kniebeuge mit neutraler Wirbelsäule zu entwickeln.

Für die zwei Hauptgruppen:

• Den durchschnittlichen Studiobesucher ohne ausgeprägte athletische Grundausbildung

• und den erfahrenen Trainierenden, der bereits sauber und schwer beugen kann,

macht die Empfehlung „mach doch mal mit Rundrücken“ jedoch keinen Sinn.

 

Fazit: Risikomanagement im Training

Training ist immer auch Risikomanagement:

Risiko = Eintrittswahrscheinlichkeit × Schadenshöhe × Expositionszeit.

Auf der einen Seite steht die Upside: Trainingsreiz, Progression, Übertragbarkeit.

Auf der anderen Seite die Downside: Verletzungsrisiko, Ausfallzeiten, stagnierende Entwicklung.

Bei einer Rundrücken-Kniebeuge ist die Upside quasi null.

Für die absolute Mehrheit gibt es grundsätzlich keinerlei Zusatznutzen gegenüber einer neutralen Kniebeuge.

Die Downside dagegen ist erheblich.

Ein erhöhtes Risiko für Rückenverletzungen, die Monate kosten können.

Deshalb ist die Entscheidung klar:

Bleib bei der neutralen Position der Lendenwirbelsäule.

Sie ist die Variante mit dem besseren Erwartungswert.

Sie ist sicherer, effektiver und sinnvoller.

 

Der Rundrücken sollte jedoch nicht mit dem Butt Wink verwechselt werden. Sie meinen Artikel von letzter Woche zu genau diesem Punkt hier.

„Ask the Coach“ ist die Kolumne in der Wolfgang Unsöld Eure Fragen zu Training & Ernährung beantwortet. Das gleichnamige Buch ist im Riva Verlag erschienen und direkt hier erhältlich

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